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Bayerische Ingenieure für Kommunikation treffen sich in der Universität der Bundeswehr in München-Neubiberg am 30. Januar 2016
„Digitale Industrielandschaft – zu erwartende Positionen für Mensch, Innovation und Datensicherheit“, so das Motto des Tages.
Das Regionaltreffen der Bayerischen Ingenieure für Kommunikation (IfKom) zeigte auf, wie die Unternehmen vor wachsenden Herausforderungen im Hinblick auf Innovationsfähigkeit, Schnelligkeit und Flexibilität stehen, wobei die Vereinbarkeit mit den Bedürfnissen der Arbeitskräfte eine Herausforderung für eine tragfähige Arbeitsorganisation wird. Standardisierungs- und Digitalisierungsprozesse erzeugen neue Komplexitäten und Unwägbarkeiten. Unser Leben im Cyberraum fordert eine hohe Aufmerksamkeit gegenüber Datensammlern, Cyberangriffen und dem Schutz davor.
Dipl.-Ing. Kurt Koch, Bezirksvorsitzender der Ingenieure für Kommunikation (IfKom) begrüßte die geladenen Mitglieder und Gäste aus Nord-, Süd- und Ostbayern und stellte die Referenten vor. Ziel des Treffens sei, den Menschen in den Mittelpunkt der Entwicklungen zu stellen. Die digitalisierte und vernetzte Arbeitswelt habe neue Arbeitsweisen und Lebensformen geschaffen, Lebens- und Arbeitswelten seien weniger getrennt als früher. Doch der Prozess gehe weiter: Fabriken würden smart und die Referenten gäben einen Blick in die Zukunft.
Dipl.-Ing. Harald Reils vom Technischen Service der Deutschen Telekom moderierte die bayerische Regionaltagung.
Dipl.-Ing. Heinz Leymann, Bundesvorsitzender der Ingenieure für Kommunikation, sprach die Grußworte des Gesamtverbands IfKom. Er hob die Zusammenarbeit und Vernetzung des Ingenieurverbands IfKom mit anderen Ingenieurverbänden zur verbandspolitischen Netzwerknutzung hervor. Herr Leymann gab einen Rückblick auf die IfKom-Aktivitäten des Jahres 2015. Auch ein neues Ingenieur-Mitglied konnte er unter den Zuhörern begrüßen.
Prof. Dr.-Ing. Norbert Gebbeken von der Universität der Bundeswehr Neubiberg und Vizepräsident der Bayerischen Ingenieurekammer Bau begrüßte die Ingenieure für Kommunikation und zeigte die Besonderheit der „privaten Universität“ der Bundeswehr unter der Aufsicht der Bayerischen Staatsregierung auf, was einmalig in dieser Struktur weltweit sei. Ziel bei der Gründung der Universität sei gewesen, Offizieren eine zivile akademische Bildung zu vermitteln. Heute studierten mit dem Ziel „Master“ an der Universität der Bundeswehr 3000 Studenten, in der Regel Offiziere, aber auch zivile Studenten von externen Partnern, und die Universität verfüge heute über das Promotions- und Habitilationsrecht. Prof. Gebbeken freute sich auf die spannenden Vorträge und wünschte der Versammlung einen guten Verlauf.
Daniela Wühr, Arbeitswissenschaftlerin an der Universität Hohenheim, beschrieb unter der Überschrift „Der Mensch in seinen Arbeits- und Qualifikationsanforderungen durch Industrie 4.0“ die gravierenden Veränderungen im Berufsleben durch die neuen Technologien. Sie zeigte die technischen Entwicklungsschritte in einer Zeitschiene auf, die zur Industrie 4.0 mit dem Schwerpunkt Smart Factory führen. Alles würde heute „smarter“: Smart City, Smart Home, Smart Grid, Smart Farming, Smart Factory oder Industrie 4.0. Aus der politisch geprägten Hightech-Strategie der Bundesregierung wurde das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 geboren. Industrie 4.0 zeige deutlich, dass sich die Industrie schwerpunktmäßig auf die Veränderungen innerhalb der Organisation (Fabrik) und nicht auf den wirtschaftlichen Strukturwandel außerhalb der Fabrik ausrichte. Die Veränderungen innerhalb der Produktionsstrategien würden als Ausgangspunkt
für die weiteren Entwicklungen aufgefasst, z. B. der Arbeitsorganisation (Mechanisierung, Taylorisierung, Facharbeit, Selbstorganisation). Die Produktionssteuerung erfolge durch das Produkt. Das zu fertigende Produkt steuere sich praktisch durch den gesamten Prozess selbst, dabei müsse sehr viel seltener durch Menschen eingegriffen werden. Alle Abläufe seien so digitalisiert, dass immer auch für den Kunden einsehbar sei, wie weit eine Maschine bereits montiert ist oder an welchem Meilenstein die Engineering-Schritte für eine Kundenentwicklung gerade stünden. Nicht nur alle Mitarbeiter sähen in der entsprechenden App, wo welche Prozesse gerade stünden – auch dem Kunden könne ein Tracking der Prozesse in Echtzeit angeboten werden. Mit fortschreitender Digitalisierung müssten sich die Beschäftigten zunehmend in komplexen und dynamischen Arbeitsrealitäten zurechtfinden. Standardisierungs- und Digitalisierungsprozesse – das zeigten Forschungen – generierten aber nicht nur robuste Abläufe und Prozesse, sondern schafften neue Komplexitäten und Unwägbarkeiten. Hiermit ad hoc und situativ schnell umzugehen, sei eine Leistung, die auf Erfahrungs- und Produktions- sowie Prozesswissen der Beschäftigten basiere. Die Arbeit verändere sich künftig in der Gestaltung der Arbeitsplätze wie in den Arbeitsanforderungen. Die Zukunft der Arbeitsbedingungen wurde von Frau Wühr mit folgenden Punkten umrissen:
Arbeits-und Leistungsverdichtung Flexibilisierung Entkopplung von Arbeitszeit und Arbeitsort (Crowdsourcing, Liquid Organiziation) Hohe Qualität der Arbeit Zusammenwachsen von kreativer und produzierender Arbeit Gefahr für Work-Life-Balance Umgang mit personenbezogenen Leistungsdaten (werden automatisch mitgeführt) De-Regulierung der Arbeitszeit
Unternehmensentscheidungen müssten nicht nur aufgrund technischer Machbarkeit, sondern auch aus ökonomischen Gründen getroffen werden. Viele Studien basierten auf Annahmen von Experten der Technikforschung. Frau Wühr stellte abschließend die Frage: „Werden hier Potenziale von Technikfeldern oft über- und die Probleme in der praktischen Anwendung unterschätzt?“ Die Frage nach Verwendung persönlicher Daten bei Industrie 4.0 beantwortete sie so: „Wenn Daten vorhanden sind, ist es verführerisch, sie zu nutzen.“
Prof. Dr. Gabi Dreo Rodosek vom Forschungszentrum CODE an der Universität der Bundeswehr München-Neubiberg zeigte zum Thema „Cybersicherheit: Herausforderung und Chancen“ einen Überblick über die Möglichkeiten eines Cyberangriffs und wie man sich schützen kann. Sie betonte, dass es keine Software gibt, die nicht angreifbar ist. Dreo Rodosek zeigte am Beispiel Smart Grid/ Smart Meter in der Stromversorung, die u.a. der Erfassung und Auswertung von Nutzungsprofilen dienen, die Angriffsszenarien: Manipulation der Sensoren im Grid, Manipulation und Mitlesen der Datenerfassung, Übermittlung und Ausführung von Schadcode auf Smart Metern, Manipulation der Steuerung und Verteilung des Stroms. Bereits ein Schwachpunkt biete Hackern die Angriffsfläche. Durch Veränderung von Parametern könne eine ganze Infrastruktur lahmgelegt werden. Der manipulierte rasche und u. U. häufige Wechsel von starkem Strombedarf zu geringem Strombedarf könne zum Ausfall des weit verzweigten Stromnetzes von bis zu zwei Tagen führen. Die IT entwickele sich weiter: Internet of Things (IoT), Mobile Dienste und Clouds. Hier seien die entstehenden Branchen-Clouds hervorzuheben, wie für Behörden, Transport, Versicherungen, Banken usw. Innerhalb der Clouds könnten Zusammenhänge hergestellt werden.
Die Herausforderung bei Big Data würde sein festzustellen, was Google, Facebook, Twitter, Amazon usw. machten. Das Sammeln von Identitäten sei u.a. ein Ziel. Dazu würden die Identitäten abgegriffen bei Autos, Smart Phones, Laptops, in Firmen, in Behörden, beim Finanzamt. Bedrohungen durch Cyberattacken würden teilweise nicht erkannt. Es müsse die IT geschützt werden gegen Spionage und gegen Cyberwar. Kein Waffensystem komme ohne IT aus. Monitore zeigten z. B. bei einem Cyber-Angriff falsche Bilder und führten so zu falschen Entscheidungen. Alles würde smarter. Das Smart Phone biete vielfältige Möglichkeiten des Einsatzes in einer heilen Welt, hätte aber vielfältige Angriffspunkte für Trojaner in den Anwendungen. Hier bestünde großer Nachholbedarf für die Datensicherung. Updates würden helfen, erkannte Schwachstellen der IT zu beseitigen. Dreo Rodosek forderte für die Bevölkerung Aufklärungskampagnen, die bereits in Schulen starten sollten. Das Risiko sei ähnlich zu sehen wie der Umgang mit Feuer.
Dr. Norbert Neumann, Senior Vice President Purchasing bei der Robert Bosch GmbH referierte zu den „Agilitätsanforderungen an die Organisation der Zukunft - Organisatorische Realität trifft Vision“. Vier Geschäftsbereiche der Firma Bosch sorgten für wirtschaftliche Erfolge in Umsatz und Wachstum. Das seien Mobility Solutions, Industrial Technology, Energy and Building Technology und Consumer Goods. Mit der Bemerkung „Zünden tun wir gerne“, hat Neumann mit der Frage: „Was hat den Menschen wesentlich beeinflusst?“ den Beginn der Technisierung mit der Dampfmaschine erläutert, die dann die erzeugte Kraft mobil machte. Mit der Digitalisierung hätten Produktionen an Bedeutung verloren, sie würden aber durch neue Produtionen ersetzt. An den Beispielen von Brockhaus, Kodak, Nokia u.a.m. zeigte er die Opfer der Digitalisierung auf. Die nächsten Opfer stünden an, wie Kameras, Autohäuser oder auch Supermarktketten. Disruption habe alles verändert. Eine disruptive Technologie ist eine Innovation, die eine bestehende Technologie, ein bestehendes Produkt oder eine bestehende Dienstleistung möglicherweise vollständig verdrängt. Das neue Paradigma heißt Digitalisierung! Die Trends im Automobilbau seien Elektrifizierung, Connectivity, Automation, Mobility Services. Motor und Komponenten, Getriebe, Kupplungen und Abgastechnologie würden ersetzt durch den Elektromotor, Batterie und Leistungselektronik sowie die Ladetechnik. Bosch wolle wissen, wie automatisiertes Fahren und Parken in der richtigen Auswahl der Technologie zu gestalten sei. Man sähe z. B. bei Google Aktivitäten im Self-Driving Car Project. Das vernetzte Fahrzeug würde die Mobilität der Zukunft nachhaltig verändern. Fragen zum Datenschutz und dem Umgang mit Datenströmen, die von vernetzten Fahrzeugen erzeugt würden, müssten ebenso geklärt werden wie die Bedien- und Nutzerfreundlichkeit von Infotainment- und Entertainmentangebote aus dem Bereich der Consumer-Electronics. Über Daten Geld zu verdienen sei das neue Ziel. Worin läge das neue Denken an der Westküste der USA? Agilität, d.h. in Zeiten des Wandels und der Unsicherheit zu agieren, fiele dort auf fruchtbaren Boden durch den Einsatz geringer Ressourcen, den Einsatz mathematischer Verfahren (Pivotisierung), durch Experimentierfreudigkeit und ein fort vom alten Denken. Produktionen seien so in kürzerer Zeit zu realisieren. Co-Creation im Entwicklungsprozess anzuwenden, d.h. zusammen mit Kunden, Partnern und Zulieferern an der Entwicklung neuer Lösungen zu arbeiten, seien dort üblich. Das wolle Bosch lernen. Walmart setze z. B. Satellitentechnik ein, um das Füllen der Regale zu steuern. Über volle oder weniger belegte Kundenparkplätze erfolge die Warenüberwachung. Bosch unterstütze die Überwachung der Kühlkette bei Transporten. Car2go wolle die frei geparkten Fahrzeuge im Stadtbereich bis hinein in die Parkhäuser steuern und unterstütze innerstädtische Mobilitätskonzepte.
In der Linienorganisation bei Bosch würden agile Teams zur Produktentwicklung eingesetzt. In diesen Teams würde an einem Reifegrad eines Produkts, wie z.B. an einer Miniaturisierung, gearbeitet. Es müsse in diesem Sinn an der Firmenkultur sowie an zukunftsfähigen Handlungsfeldern gearbeitet werden. Lösungsbeispiele wurden genannt: die Verkleinerung von Batterien bei gleicher Leistung, die Verkleinerung von Sensoren/Sensortechnik in verschiedensten Produkten oder das Vermessen eines Rinds im Lauf. Die Zukunft bei Bosch mit modernen Organisationsformen würde spannend werden. Think Tanks würden bei Bosch zugelassen und durch Zukauf kleiner Firmen verstärkt.
Den Bericht schrieb Christian Humburg; Geschäftsführer IfKom-Südbayern
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